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Hohes Vertrauen in deutsche Justiz, starke Sorge über wachsenden Nationalismus in Europa

  • Die Deutschen vertrauen dem deutschen Justizsystem, kritisieren aber weiterhin überlastete Gerichte, lange Verfahren und zu milde Urteile.
  • Der wachsende Nationalismus in Europa beunruhigt 58 Prozent der Bundesbürger – politisch Desinteressierte und AfD-Wähler hingegen kaum.
  • 40 Prozent der Bürger denken, Deutschland sollte zukünftig selbst verstärkt eigene Interessen verfolgen, 41 Prozent halten das für falsch.

Köln, 27. Februar 2020

Mehr als jeder zweite Bundesbürger sieht im zunehmenden Nationalismus ein Risiko für die weitere Entwicklung Europas. Das geht aus dem ROLAND Rechtsreport 2020 hervor, den ROLAND Rechtsschutz heute veröffentlicht hat. Bereits im zehnten Jahr in Folge hat das Institut für Demoskopie Allensbach für die Studie über 1.200 Bürger zu ihrer Meinung zum deutschen Rechtssystem und zu einem aktuellen Schwerpunktthema befragt. 2020 - im Jahr des geplanten endgültigen Brexit - befasst sich der Rechtsreport mit den Meinungen der Deutschen zum wachsenden Nationalismus in Europa.

Lange Prozesse, milde Urteile: Das nervt die Deutschen am Rechtssystem

Im Hinblick auf die Einstellung zum deutschen Justizsystem setzt sich der Trend der vergangenen Jahre fort: Zwar vertrauen sehr viele Bürger den deutschen Gesetzen und der Gerichtsbarkeit, doch nehmen sie gleichzeitig eine starke Überlastung der Justiz wahr. So denken inzwischen 85 Prozent der Bürger, dass die Verfahren in Deutschland zu lange dauern, fast genauso viele (83 Prozent) halten die Gerichte für überlastet. Über 60 Prozent meinen, dass es eine uneinheitliche Rechtsprechung in Deutschland gibt und dass man seine Chancen auf ein günstiges Urteil mit einem bekannten Anwalt erhöhen kann. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung denkt, dass die Urteile allgemein zu milde sind - insbesondere gegenüber jugendlichen Straftätern (59 Prozent).

Kein voreiliger Gang zum Kadi: Bürger klagen erst ab Schaden von 1840 Euro

Bei dieser Kritik an der Justiz überrascht es nicht, dass die Bevölkerung einen Gerichtsprozess eher vermeiden will. Fast jeder vierte Bürger hat in den vergangenen fünf Jahren Situationen erlebt, in denen er rechtlichen Beistand hätte gebrauchen können, diesen dann aber nicht in Anspruch genommen hat - zehn Prozent sogar mehrmals. Die Gründe hierfür sind vielfältig, einer davon ist die Sorge vor hohen Prozesskosten. So zeigt der ROLAND Rechtsreport 2020, dass die Deutschen im Durchschnitt erst bei einem finanziellen Schaden von 1.840 Euro vor Gericht ziehen würden. Personen mit einem niedrigen Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1.750 Euro sind noch zurückhaltender: Sie erwägen erst ab einem Betrag von 2.370 Euro ein Gerichtsverfahren. Bemerkenswert ist zudem, dass Männer ab einem durchschnittlichen Streitwert von mehr als 2.200 Euro prozessieren würden, Frauen hingegen bereits bei rund 1.400 Euro.

Bildungsferne und ostdeutsche Bürger fordern mehr nationalen Egoismus

Der zunehmende Nationalismus in einigen Ländern beunruhigt viele Menschen in Deutschland: 60 Prozent sehen darin ein großes Risiko für die weitere Entwicklung Europas. 58 Prozent der Bürger beunruhigt der Gedanke sehr stark oder stark, dass immer mehr europäische Länder vermehrt nationale Interessen verfolgen. Lediglich 38 Prozent sind über diese Entwicklung weniger oder gar nicht besorgt. Überdurchschnittlich besorgt zeigen sich politisch Interessierte sowie die Anhänger von SPD und Grünen. Weniger besorgt sind hingegen politisch Desinteressierte sowie die Anhänger der AfD: Von diesen gibt gerade einmal jeder Fünfte an, dass ihn der zunehmende Nationalismus in Europa beunruhigt, fast drei Viertel der AfD-Anhänger beunruhigt dieser Gedanke hingegen kaum oder gar nicht.

Trotz der weit verbreiteten Beunruhigung über nationalistische Tendenzen ist auch die deutsche Bevölkerung nicht frei davon, von ihrem Staat mehr Nationalismus zu fordern: 40 Prozent denken, dass Deutschland in Zukunft verstärkt eigene Interessen verfolgen und dabei weniger Rücksicht auf andere Länder nehmen sollte. Ein fast gleich großer Anteil (41 Prozent) hält dies für den verkehrten Weg. Mehr "nationalen Egoismus" befürworten insbesondere bildungsferne Schichten und die ostdeutsche Bevölkerung. Hingegen hält eine klare Mehrheit (55 Prozent) der Personen mit höherer Bildung "Germany First" für den falschen Weg.

Europäischer Staat - nein danke!

Grundsätzlich wünscht sich eine große Mehrheit der Bürger gemeinsame europäische Regelungen für viele Bereiche wie die Außen- und Sicherheitspolitik (78 Prozent), die Schuldenpolitik der EU-Mitgliedsländer (73 Prozent) und die Zuwanderung von Ausländern (72 Prozent). Auch den Verbraucherschutz möchten 61 Prozent der Bürger europäisch geregelt wissen, knapp jeder Zweite auch die Bildungsabschlüsse. Lediglich die Höhe der Steuern und Abgaben sowie die Bestimmungen zu den Sozialleistungen möchten die Bürger mehrheitlich in der nationalen Verantwortung belassen. Für die Zukunft Europas präferiert eine klare Mehrheit (68 Prozent) ein Bündnis einzelner Staaten, lediglich 17 Prozent votieren für einen gemeinsamen europäischen Staat.

Der ROLAND Rechtsreport 2020 steht hier zum Download zur Verfügung.