Ein formell gekleideter Mann.

Scheinselbständigkeit: Kriterien, Strafen, Vermeidung & mehr

Business & Firma

Die Feststellung einer Scheinselbstständigkeit hat nicht nur für den Selbstständigen selbst Konsequenzen. Auch für Auftraggeber stellt die Scheinselbstständigkeit eine Gefahr dar. Denn rückwirkend können Sozialversicherungsbeiträge bis in den fünfstelligen Bereich gefordert werden.

Daher erklären wir Ihnen in diesem Ratgeber, was Scheinselbstständigkeit ist, wann sie vorliegt und wie sie vermieden werden kann. Zudem erfahren Sie, wer die Scheinselbständigkeit prüft. Abschließend werfen wir einen Blick auf die Folgen, die bei der Aufdeckung von Scheinselbstständigkeit auf Sie zukommen können.

Scheinselbständigkeit – was ist das eigentlich?

Was ist Scheinselbstständigkeit? Scheinselbstständigkeit beschreibt ein Arbeitsverhältnis zwischen zwei Parteien. In diesem tritt der Auftragnehmer vertraglich als selbstständig auf. Dementsprechend führen weder Auftragnehmer noch Auftraggeber Beiträge zur Sozialversicherung ab. Allerdings stellt sich unter Berücksichtigung aller Umstände die Tätigkeit als abhängige Beschäftigung dar.

Scheinselbständigkeit – Was ist ein Selbstständiger?

Alle Selbstständigen, die Auftragsarbeiten übernehmen, können von Scheinselbstständigkeit betroffen sein. Dabei ist eine selbstständige Tätigkeit durch folgende drei Punkte gekennzeichnet:

  • freie Gestaltung der Tätigkeit
  • selbstbestimmte Arbeitszeit
  • Verfügbarkeit über die eigene Arbeitskraft

Zudem tragen Selbstständige die unternehmerische Entscheidungsfreiheit. „Beispielsweise treffen sie eigenverantwortliche Entscheidungen über die Preise, den Warenbezug oder den Einsatz von Kapital”, erläutert Rechtsanwalt Martin Schmidt-John. Selbstständige sind in der Regel nicht verpflichtet, in die gesetzliche Kranken-, Renten-, Pflege- oder die Arbeitslosenversicherung einzuzahlen.

Besonders Berufsbilder wie Berater, Designer, Texter, Handwerker, Immobilienmakler, Programmierer, Reinigungskräfte oder Fahrer können von Scheinselbstständigkeit betroffen sein.

Scheinselbständigkeit – Definition

Sobald die unternehmerische Freiheit durch Kunden-Vorgaben eingeschränkt wird, gilt das als Indiz für eine Scheinselbstständigkeit. Dabei steht vor allem die Gestaltung der Zusammenarbeit in der Praxis im Vordergrund.

Unter anderem werden folgende Kriterien angelegt, um eine Scheinselbstständigkeit zu beurteilen:

  • Weisungsgebundenheit an den Auftraggeber
  • Abhängigkeit von einem Unternehmen
  • Einbindung in den Betrieb des Auftraggebers
  • Feste Arbeitszeiten
  • Urlaubsanspruch, Absprache des Urlaubs mit anderen Arbeitnehmern
  • Verpflichtung zur Auftragsannahme
  • Leistungserbringung nur in eigener Person
  • Kein unternehmerisches Auftreten
  • Feste Bezüge
  • Berichterstattungspflicht an den Auftraggeber

„Allerdings entscheidet keines dieser Merkmale für sich, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Letztendlich ist das ist immer eine Bewertung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls”, erklärt Rechtsanwalt Martin Schmidt-John.

Selbstständige, die nur für einen Kunden tätig sind, sind nicht automatisch scheinselbstständig. Allerdings können sie als arbeitnehmerähnlich eingestuft werden. Dann müssen Selbstständige der Rentenversicherung beitreten. Hier wird als Orientierungshilfe die ⅚ -Regelung herangezogen. Sie besagt, dass Selbstständige nicht mehr als ⅚ ihres Umsatzes mit einem einzigen Kunden machen dürfen, wenn sie nicht unter die Rentenversicherungspflicht fallen möchten.

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Scheinselbstständigkeit-Kriterien – dann liegt eine Scheinselbstständigkeit vor

Das Gesetz regelt den Begriff Scheinselbstständigkeit nicht. Ab wann sie vorliegt, ist immer eine Einzelfallentscheidung. „Unter Einbeziehung der jeweiligen Umstände kann die Entscheidungsfindung komplex sein”, weist Rechtsanwalt Martin Schmidt-John hin. Es lässt sich also nicht per se sagen: Wenn Kriterien XY erfüllt sind, liegt eine Scheinselbstständigkeit vor oder nicht.

Scheinselbstständigkeit: Checkliste

Wann liegt eine Scheinselbstständigkeit vor? Die folgenden Punkte sprechen eher dagegen.

  • Der Auftragnehmer ist frei von Weisungen des Auftraggebers.
  • Die Aufgaben des Auftragnehmers grenzen sich zu denen von Angestellten ab.
  • Der Auftragnehmer muss nicht über seine Leistungen berichten.
  • Der Auftragnehmer kann seinen Arbeitsplatz und seine Arbeitszeit frei wählen.
  • Der Auftragnehmer benutzt keine Hard- oder Software, die eine Kontrolle des Auftraggebers zulassen.
  • Der Auftragnehmer nutzt den Namen seines eigenen Unternehmens, eigenes Briefpapier und Visitenkarten.
  • Der Auftragnehmer akquiriert aktiv Kunden und macht Werbung für sein eigenes Unternehmen.
  • Der Auftragnehmer beschäftigt eigen Arbeitnehmer für den Auftrag

Wer prüft eine Scheinselbständigkeit?

Sowohl das Finanzamt als auch Sozialversicherungsträger wie die Rentenversicherung oder Krankenkassen können eine Prüfung auf Scheinselbstständigkeit veranlassen. „Sie haben ein berechtigtes Interesse daran, Scheinselbstständigkeiten aufzudecken. Denn dadurch können sie die Nachzahlung von Beiträgen einfordern” erklärt Rechtsanwalt Martin Schmidt-John.

Folgen und Strafen bei Scheinselbständigkeit

Wer haftet, wenn Scheinselbstständigkeit nachgewiesen werden kann? Sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer müssen bei Aufdeckung einer Scheinselbstständigkeit mit Konsequenzen rechnen:

  • Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer für die Dauer der Zusammenarbeit
  • bisheriger Auftragnehmer wird Angestellter (inkl. Urlaubsanspruch und anderen Sozialleistungen)
  • rechtliche Verfolgung wegen Steuerhinterziehung mit strafrechtlichen Folgen, falls ein Vorsatz nachgewiesen werden kann

Scheinselbstständigkeit – Folgen für Auftraggeber

Der Auftraggeber muss für den Auftragnehmer rückwirkend alle Haftungs- und Zahlungsverpflichtungen wie für normale Angestellte übernehmen. Das heißt, dass die Beiträge zur Sozialversicherung und die Lohnsteuer bis zu vier Jahre, bei Vorsätzlichkeit sogar 30 Jahre, rückwirkend eingefordert werden können.

Darüber hinaus muss der Auftraggeber die abgezogene Vorsteuer zurückzahlen. Denn auch die Ausweisung der Umsatzsteuer auf den Rechnungen des Scheinselbstständigen werden ungültig. Demnach ist auch der erfolgte Vorsteuerabzug der Leistungen unzulässig.

Scheinselbstständigkeit – Folgen für Auftragnehmer

Zunächst wird die Scheinselbstständigkeit des Auftragnehmers beendet. Dadurch erhält er den Status eines Angestellten inklusive aller Rechte, beispielsweise Kündigungsschutz oder Urlaubsanspruch. Zudem erhält er ein Nettogehalt in Höhe seines bisherigen Honorars. Das bedeutet aber auch, dass er sein Gewerbe abmelden muss.

Der Scheinselbstständige muss seine ausgestellten Rechnungen gegenüber seinem Auftraggeber korrigieren. So muss er die ausgewiesene Umsatzsteuer für unzulässig erklären. Dadurch ist er nicht mehr zum Abzug der Vorsteuer berechtigt und muss diese gegebenenfalls an das Finanzamt zurückzahlen.

Unter Umständen kann der Auftraggeber vom Auftragnehmer die Differenz zwischen gezahlter Vergütung und der üblichen Vergütung, die ein Arbeitgeber für einen Angestellten zahlen würde, einfordern.

Scheinselbstständigkeit – Wer muss zahlen?

„Auftraggeber und Auftragnehmer sind rechtlich Gesamtschuldner bei einer Scheinselbstständigkeit. Daher darf der Auftraggeber die Arbeitnehmeranteile an den Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge für die vergangenen drei Monate vom künftigen Gehalt des Auftragnehmers abziehen”, geht Rechtsanwalt Martin Schmidt-John ins Detail.

Rechtliche Konsequenzen bei Scheinselbstständigkeit

Kann der Scheinselbstständigkeit ein Vorsatz nachgewiesen werden, drohen laut § 266a StGB eine Geld- oder Freiheitsstrafe für Sozialversicherungsbetrug. „Weil aber laut SGB der Arbeitgeber die Pflicht hat, den Selbstständigen bei den Sozialversicherungsträgern zu melden, droht bei Scheinselbstständigkeit keine Strafe für den Arbeitnehmer. Denn Scheinselbstständige machen sich bei einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis in der Regel nicht strafbar”, erläutert Rechtsanwalt Martin Schmidt-John.

Scheinselbständigkeit vermeiden – so geht’s

Schützen Sie sich mit diesen Tipps vor Scheinselbständigkeit:

  • Mehrere Auftraggeber: Achten Sie darauf, für mehr als nur einen Auftraggeber zu arbeiten.
  • Eigener Arbeitsraum: Arbeiten Sie überwiegend in Ihren eigenen Räumlichkeiten.
  • Keine Integration in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers:
    • Arbeiten Sie mit Ihrem eigenen Material.
    • Planen Sie Ihren Urlaub unabhängig von den Angestellten.
    • Legen Sie Ihre eigenen Arbeitszeiten fest.
  • Eigenes Marketing: Machen Sie Werbung für Ihr eigenes Unternehmen.
  • Unternehmerische Verantwortung: Zeigen Sie beispielsweise durch den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung, dass Sie das unternehmerische Risiko selbst tragen.
  • Vertrag prüfen: Prüfen Sie, ob der Vertrag mit dem Auftraggeber Ihre unternehmerische Freiheit unterstreicht.

Statusfeststellungsverfahren – bester Schutz vor Scheinselbstständigkeit

Sowohl der Auftragnehmer als auch der Auftraggeber können nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV ein Statusfeststellungsverfahren der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund beantragen. „Dann entscheidet die Deutsche Rentenversicherung rechtssicher, ob es sich um eine abhängige oder selbständige Beschäftigung handelt”, sagt Rechtsanwalt Martin Schmidt-John.

Aktuelle Urteile zur Scheinselbständigkeit

Wird in einem Statusfeststellungsverfahren Scheinselbstständigkeit festgestellt, kann Einspruch dagegen eingelegt werden. In diesem Fall hilft eine Rechtsschutzversicherung weiter.

So entschied im Juli 2021 ein Gericht in Baden-Württemberg, dass Physiotherapeuten, die als freie Mitarbeiter in einer Praxis arbeiten, angestellt sind, wenn sie in die Praxis-Organisation eingegliedert sind. Denn dadurch tragen sie kein unternehmerisches Risiko.

Weitere Urteile zur Scheinselbstständigkeit können Sie hier lesen.

Fazit: Selbstständigkeit vs. Scheinselbstständigkeit

Scheinselbständigkeit kommt in der Praxis häufig vor, wenngleich meist unbeabsichtigt. Allerdings kann sie gravierende arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Denn bei einer selbstständigen Tätigkeit führen weder Auftragnehmer noch Auftraggeber Sozialbeiträge ab.

Daher empfiehlt sich, nach Vertragsabschluss ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung zu beantragen. Dadurch wird der Status des Arbeitsverhältnisses rechtssicher geprüft. „Zudem sollte der Auftragnehmer immer darauf achten, dass deutlich ist, dass er die unternehmerische Verantwortung trägt, er sich nicht in die Arbeitsorganisation eingliedern lässt und nicht ausschließlich für einen Auftraggeber arbeitet”, weist Rechtsanwalt Martin Schmidt-John hin.

Älterer Mann steht in einem Bürogebäude. Er trägt einen Anzug, hat die Arme verschränkt und lächelt. Hinter ihm stehen weitere Menschen in Business-Kleidung.

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Dieser Artikel wurde ursprünglich am 6. September 2022 veröffentlicht (Haftungsausschluss).

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Rechtsanwalt und Steuerberater Martin Schmidt-John ist seit 1991 als Rechtsanwalt und seit 1995 als Steuerberater zugelassen und seit 2004 Partner der Kanzlei Thun, Steiner & Partner in Norderstedt. Schwerpunkt der Tätigkeit von Martin Schmidt-John ist die Beratung von Unternehmen bei Unternehmens- und Vermögensnachfolge, sowie von Mandaten bei Selbstanzeigen. Er ist Fachanwalt für Insolvenzrecht und ist außerdem tätig auf den Gebieten des Arbeitsrechts, Bankrechts sowie des Handels- und Gesellschaftsrechts.

Martin Schmidt-John

Martin Schmidt-John

Kanzlei Thun, Steiner & Partner

Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Firmenrechtsschutz“