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Einstweilige Verfügung: Voraussetzungen & Bedeutung

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Mitunter kann es Jahre dauern, bis ein Gericht in einem Rechtsstreit eine Entscheidung trifft. Was aber, wenn die Ansprüche dringlich sind?

Falls dem Betroffenen ein langwieriges Gerichtsverfahren nicht zumutbar ist, bietet das deutsche Rechtssystem einen vorläufigen Rechtsschutz: die einstweilige Verfügung. Hier erfährst du, was eine einstweilige Verfügung ist, welche Voraussetzungen gelten und was die Rechtsfolgen sind.

Was ist eine einstweilige Verfügung?

Die Zivilprozessordnung (ZPO) regelt die einstweilige Verfügung. „Von Bedeutung ist sie, weil sie im Prozessrecht subjektive Rechte bei Dringlichkeit bereits vor der Entscheidung über eine Klage wirksam schützt“, erklärt Rechtsanwalt Ansgar Bigge. Somit ist die einstweilige Verfügung per Definition eine vorläufige Entscheidung in einem gerichtlichen Eilverfahren.

Die einstweilige Verfügung wird mitunter auch einstweiliger oder vorläufiger Rechtsschutz genannt. Im Familienrecht wird analog der Begriff einstweilige Anordnung verwendet. Falls sich die Ansprüche auf Geldforderungen beziehen oder in eine Geldforderung übergehen können, wird die Anordnung eines dinglichen Arrests beantragt.

Die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung ist ohne Hauptsacheverfahren möglich. Das bedeutet, sie kann bereits wenige Tage nach Beantragung erlassen werden. Dabei kann das zuständige Amts- oder Landgericht im Ausnahmefall die einstweilige Verfügung ohne Anhörung beschließen – eine sogenannte Beschlussverfügung. Im Regelfall wird sich der Antragsgegner aufgrund des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit vor einer Entscheidung äußern dürfen. Auch kann die Entscheidung in einer Urteilsverfügung mit mündlicher Verhandlung fallen.

Um die Hauptsache nicht vorweg zu nehmen, sind einstweilige Verfügungen und einstweilige Anordnungen zeitlich begrenzt. Die jeweiligen Fristen können bei Bedarf verlängert werden. Sollte der Antragsgegner eine Abschlusserklärung abgeben, kann der Rechtsstreit sogar ohne Klageerhebung vorzeitig beendet werden. Durch die Abschlusserklärung akzeptiert der Antragsgegner die gerichtlich festgesetzten Auflagen und verzichtet auf das Recht, gegen die Verfügung vorzugehen.

Durch einstweiligen Rechtsschutz können verschiedene Verfügungsansprüche geltend gemacht werden. Dazu zählen:

  • Unterlassungsansprüche
  • Auskunfts- und Beseitigungsansprüche im Urheberrecht
  • Gegendarstellungsansprüche im Presserecht

Beispielsweise kann im Markenrecht eine einstweilige Verfügung die Verwendung eines Markennamens untersagen. Damit kann sogar eine angeordnete Vernichtung der Waren und Werbemittel einhergehen.

„Die einstweilige Verfügung bedeutet in der Praxis: schneller Rechtsschutz ohne Warten auf eine Hauptverhandlung. Allerdings bedarf die einstweilige Verfügung bestimmter Voraussetzungen", legt der Jurist dar.

Welche Voraussetzungen gelten, um eine einstweilige Verfügung zu erwirken?

Gemäß ZPO §§ 935 müssen für die einstweilige Verfügung folgende Voraussetzung gegeben sein:

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Verfügungsanspruch

Der Antragsteller muss einen Anspruch haben. Zum Beispiel kann dieser das Unterlassen einer konkreten Handlung sein oder die Herausgabe von Gegenständen. Geldansprüche lassen sich nicht über eine einstweilige Verfügung geltend machen. In diesem Fall ist ein Arrest notwendig.

Verfügungsgrund

Der Antragsteller muss im Regelfall einen dringlichen Handlungsbedarf nachweisen. Demnach muss er beweisen, dass ohne eine einstweilige Verfügung beispielsweise eine Gefährdung des eigenen Anspruchs besteht. Eine Entscheidung in der Hauptsache käme für den Antragsteller nicht mehr rechtzeitig. Im Wettbewerbs- und Markenrecht bestehen hingegen gesetzliche Dringlichkeitsvermutungen.

Glaubhaftmachung

Das Anliegen muss glaubhaft sein. Das heißt, der Antragsteller muss Unterlagen vorlegen, die die Dringlichkeit seiner Ansprüche unterstreichen. Die Behauptung muss überwiegend wahrscheinlich erscheinen. Neben den Strengbeweismitteln kann der Antragsteller hierbei insbesondere von der eidesstattlichen Versicherung Gebrauch machen.

Verfügungsgesuch

Der Antragsteller muss einen Antrag einreichen. Diesen kann er schriftlich beim zuständigen Gericht abgeben oder zu Protokoll bei der Geschäftsstelle geben.

Einstweilige Verfügung beantragen

Wer eine einstweilige Verfügung erwirken will, kann das beim zuständigen Gericht tun. „Zuständig ist laut ZPO § 937 das Gericht der Hauptsache. Mitunter kann bei besonderer Dringlichkeit auch das Amtsgericht gemäß ZPO § 942 zuständig sein”, erklärt Rechtsanwalt Ansgar Bigge. Nachdem die einstweilige Verfügung beantragt ist, hängt die Dauer bis zum Erlass von unterschiedlichen Faktoren wie der Schwere der Rechtsverletzung, Komplexität des Falls oder Gewichtsauslastung ab. Aber in der Regel wird sie innerhalb weniger Tage oder Wochen erlassen.

“Allerdings ist es wichtig, die sogenannte Antragsfrist zu beachten”, wirft der Rechtsexperte ein. Denn die Antragsfrist ist vom Verfügungsgrund abhängig. Falls die Ansprüche für den Antragsteller nicht mehr besonders eilig sind, entfällt der Verfügungsgrund. Dabei entscheiden die Gerichte unterschiedlich, wann keine Eilbedürftigkeit mehr vorliegt. Die Fristen belaufen hierbei zwischen einem und zwei Monaten. Immer beginnt die Antragsfrist mit der Kenntnis vom Schaden.

Ab wann gilt die einstweilige Verfügung? Die Dauer bis zur Wirksamkeit hängt von der Vollziehung ab. Das bedeutet, dass eine einstweilige Verfügung nur dann wirksam ist, wenn sie dem Antragsgegner zugestellt wird. Diese Zustellung hat der Antragsteller binnen eines Monats nach Erlass zu veranlassen. Das Gericht wird von sich aus nicht selbst aktiv. Die Übergabe muss durch einen Gerichtsvollzieher erfolgen. Die Übersendung per Post durch den gegnerischen Rechtsanwalt genügt nicht.

Rechtsfolgen: Was passiert bei einer einstweiligen Verfügung?

Nach erfolgter Zustellung ist die einstweilige Verfügung wirksam. Demnach hat der Antragsgegner sofort Folge zu leisten. „Dadurch ergibt sich für den Antragsgegner aber auch die Möglichkeit, Schadenersatz zu fordern, wenn die einstweilige Verfügung im Verfahren aufgehoben wird”, weist Rechtsanwalt Ansgar Bigge hin. Wenn beispielsweise die Verwendung eines Markennamens untersagt wurde und in Folge dessen Ware vernichtet oder umetikettiert werden musste, kann dafür anschließend Schadensersatz verlangt werden.

Einstweilige Verfügung – Was tun?

Wer eine einstweilige Verfügung erhalten hat, sollte den Rat eines Rechtsanwaltes hinzuziehen. Denn es gibt verschiedene Möglichkeiten, gegen eine einstweilige Verfügung vorzugehen:

Schutzschrift

Wer ahnt, dass gegen ihn eine einstweilige Verfügung erlassen werden könnte, kann beim zentralen Schutzschriftenregister eine Schutzschrift einreichen. Hier können Gründe gelistet werden, warum ein möglicher Antrag zurückzuweisen ist oder Gegenstand einer mündlichen Verhandlung werden sollte. Die Schutzschrift gilt bei allen ordentlichen Gerichten eingereicht und ist sechs Monate nach ihrer Einstellung zu löschen.

Widerspruch

Wenn die einstweilige Verfügung in einer Beschlussverfügung ohne mündliche Verhandlung erlassen wurde, kann der Antragsgegner Widerspruch einlegen. Anschließend bekommt er in einer mündlichen Verhandlung die Möglichkeit, seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Gibt das Gericht dem Widerspruch statt, erlischt die einstweilige Verfügung. „Aber Vorsicht! Der Widerspruch allein hebt die einstweilige Verfügung nicht auf. Den in der einstweiligen Verfügung genannten Auflagen ist Folge zu leisten, bis das Gericht über den Widerspruch entschieden hat”, warnt Rechtsanwalt Ansgar Bigge.

Berufung

Ist das Urteil einer Urteilsverfügung oder eines Widerspruchs nicht zufriedenstellend, kann der Antragsgegner in Berufung gehen. Dann wird in zweiter Instanz entschieden. Falls der Antragsgegner auch die Berufung verliert, trägt er die Kosten des kompletten Verfahrens.

Hauptverfahren erzwingen

Auch ermöglicht es § 926 ZPO dem Antragsgegner, ein Hauptverfahren zu erzwingen. Dadurch muss der Antragsteller innerhalb einer gerichtlichen Frist eine Hauptsacheklage erheben. Falls diese Frist nicht eingehalten wird, kann die einstweilige Verfügung auf Antrag des Antragsgegners aufgehoben werden. Ebenso ist die Regelung, wenn im Hauptverfahren die einstweilige Verfügung für unrechtmäßig erklärt wird.

Antrag auf Aufhebung wegen veränderter Umstände

Falls sich die Umstände nach dem Erlass der Verfügung verändert haben, kann der Antragsgegner eine Aufhebung beantragen. Beispielsweise ist dies möglich, wenn es zu Rechtsänderungen kam, die der einstweiligen Verfügung die rechtliche Grundlage entzogen haben.

Abschlussschreiben und Abschlusserklärung

In einem Abschlussschreiben kann der Antragsteller den Antragsgegner auffordern, eine Abschlusserklärung abzugeben. Durch diese wird die einstweilige Verfügung als bindende unwiderrufliche Regelung anerkannt.

Wie viel kostet eine einstweilige Verfügung?

Die Kosten für eine einstweilige Verfügung setzen sich aus Gerichts- und Anwaltskosten zusammen. “Dabei variieren bei jeder einstweiligen Verfügung die Kosten mitunter stark. Faktoren wie der Streitwert und die Anzahl der beteiligten Parteien spielen eine Rolle. Es ist empfehlenswert, anwaltlichen Rat zur Kostenschätzung hinzuzuziehen", sagt der Jurist.

Wer die Kosten trägt, wird in der Entscheidung über den vorläufigen Rechtsschutz geklärt. In der Tat ist dies meistens der Antragsgegner. Aber auch eine Kostenaufteilung zwischen den Parteien ist möglich.

Anwaltskosten hängen vom Gegenstandswert ab

Da bei dem Erlass einer einstweiligen Verfügung praktisch nie eine Verhandlung stattfindet, sind die Anwaltskosten verhältnismäßig gering. Weiter hängt die Höhe der Anwaltskosten vom Gegenstandswert ab. „Wird zum Beispiel ein Streitwert von 4.000 Euro angenommen, liegen die Anwaltskosten dann bei 453,87 Euro”, zeigt Rechtsanwalt Ansgar Bigge auf.

Einstweilige Verfügung: Beispiele aus verschiedenen Rechtsgebieten

Im Zivil- und Strafrecht, beispielsweise bei übler Nachrede, Beleidigung oder Verleumdung, kann eine einstweilige Verfügung eine Unterlassung von Äußerungen durchsetzen.

Weiter wird eine einstweilige Verfügung im Arbeitsrecht zur Durchsetzung des Urlaubsanspruches und des Arbeitsentgelts eingesetzt, sowie des Weiterbeschäftigungsanspruches nach gewonnenem Kündigungsschutzprozess in der ersten Instanz.

Auch im Persönlichkeit- und Presserecht spielt das Instrument eine wesentliche Rolle. Hier muss es besonders bei Internetpublikationen schnell gehen. Denn mit jedem Tag der weiteren Veröffentlichung kann die Rechtsverletzung schwerer wiegen. Genauso wichtig ist die einstweilige Verfügung im Markenrecht, insbesondere bei Markenfälschungen.

Des Weiteren kann eine einstweilige Verfügung im Mietrecht dem Vermieter Zutritt zur Wohnung verschaffen. Hingegen kann sie ihm auch Baumaßnahmen verbieten, bis über die Duldungspflicht des Mieters entschieden wurde.

Währenddessen bildet die einstweilige Verfügung im Familienrecht einen Sonderfall. Denn hier heißt das Instrument einstweilige Anordnung. Angewandt wird es in Familien-, Kindschafts-, Gewaltschafts-, Unterhalts- und Betreuungs-, sowie Unterbringungssachen.

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Dieser Artikel wurde ursprünglich am 12. Juni 2023 veröffentlicht (Haftungsausschluss).

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Rechtsanwalt Ansgar Bigge ist seit 2022 Anwalt in der Kanzlei Bietmann Rechtsanwälte Steuerberater und ist an den Standorten Köln und Duisburg tätig. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten gehören das Handels- und Gesellschaftsrecht, sowie das Zivilrecht. Während des Jura-Studium belegte Ansgar Bigge die Schwerpunkte Zivilrechtspflege, Anwaltsberuf und Notariat. Als überregional tätige Wirtschaftskanzlei erbringt die 1990 gegründete Sozietät Bietmann an zehn Standorten in Deutschland Rechts- und Steuerberatung.

Ansgar Bigge

Ansgar Bigge

Sozietät Bietmann

Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Privatrechtsschutz“