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Unterlassene Hilfeleistung: Definition, Beispiele & Strafmaß

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Nicht jede Straftat, die in den deutschen Gesetzen steht, setzt eine aktive Handlung des Täters voraus. Denn wer einer anderen Person in einer Notsituation nicht hilft, begeht unter Umständen unterlassene Hilfeleistung. In der Folge droht eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr.

In diesem Ratgeber erklären wir dir die rechtliche Definition von unterlassener Hilfeleistung gemeinsam mit Rechtsanwältin Carla Baer. Sie ist bei der auf das Verkehrsrecht spezialisierten Kanzlei Momberger Rechtsanwälte tätig. Zudem zeigen wir dir anhand von Beispielen, welches Strafmaß unter welchen Umständen zu erwarten ist.

Was ist unterlassene Hilfeleistung genau?

StGB §323c regelt die unterlassene Hilfeleistung. Demnach ist jeder dazu verpflichtet, in Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Notsituationen zu helfen, wenn es möglich, erforderlich und zumutbar ist. Das bedeutet allerdings auch, dass keine erhebliche eigene Gefahr in Kauf genommen werden muss. Zudem dürfen auch andere wichtige Pflichten, wie beispielsweise die Aufsichtspflicht für kleine Kinder, nicht verletzt werden. Zuletzt macht sich nur derjenige der unterlassenen Hilfeleistung nach StGB strafbar, der vorsätzlich nicht handelt. Auf den tatsächlichen Erfolg der Hilfeleistung kommt es nicht an. Sondern es zählt die Hilfe als solche.

“Durch die unterlassene Hilfeleistung schafft das StGB ein Mindestmaß an Solidarität. Dementsprechend kann schon bei der Behinderung von Einsatzkräften unterlassene Hilfeleistung vorliegen”, erklärt Rechtsanwältin Carla Baer. Auch das reine Gaffen an einer Unfallstelle kann als unterlassene Hilfeleistung gewertet werden, wenn hierdurch eine Behinderung tatsächlich eintritt.

Das Strafrecht unterscheidet zwischen unechten und echten Unterlassungsdelikten:

  • Hinsichtlich der Unterlassungshandlung sind unechte Delikte durch §13 StGB, der das Begehen durch Unterlassen beschreibt, allgemein unter Strafe gestellt. Das heißt: Wenn also eine Person den Eintritt eines Erfolges nicht verhindert, obwohl sie dazu verpflichtet ist, und dadurch einen Erfolg herbeiführt, der regelmäßig durch aktives Tun verursacht wird.
  • Dahingegen sind echte Unterlassungsdelikte als Straftatbestand im StGB selbst aufgeführt und explizit unter Strafe gestellt.

Folgend zählt unterlassene Hilfeleistung zu den echten Unterlassungsdelikten. Denn der Umstand der unterlassenen Hilfeleistung ist in StGB §323c ausdrücklich unter Strafe gestellt.

Welche Rolle spielt eine sogenannte Garantenstellung bei unterlassener Hilfeleistung?

Es gibt Personen, die in besonderem Maße zur Hilfe verpflichtet sind – sogenannte Garanten. Demnach muss ein Garant nicht nur wie ein normaler Bürger nach erfolgter Tat oder nach einem Unfall Hilfe leisten. Vielmehr hat er die zusätzliche Pflicht, dafür zu sorgen, dass es erst gar nicht zu einem Schaden kommt. So kann bei Personen mit Garantenstellung eine Straftat durch Unterlassen bereits vorliegen, wenn sie nicht das Notwendige und Mögliche unternommen haben, um das Unglück im Vorfeld zu verhindern.

“Garantenstellungen ergeben sich aus vielen Konstellationen. Es gibt Beschützergaranten, denen Obhutspflichten für ein bestimmtes Rechtsgut obliegen und Überwachungsgaranten, die aufgrund ihrer Verantwortlichkeit für bestimmte Gefahrenquellen Sicherungspflichten beachten müssen.“, merkt Rechtsanwältin Baer an.

Folgend einige Beispiele, in denen eine Person Garant für eine andere ist:

  • öffentlicher Schutzauftrag: Polizisten, Rettungsdienst, Feuerwehr und andere Personen des öffentlichen Rechts
  • enge natürliche Verbundenheit: Familienangehörige wie Eltern, die für ihre Kinder sorgen oder Ehegatten füreinander
  • Lebensgemeinschaften und eheähnliche Partnerschaften
  • Gefahrengemeinschaften: Bergsteiger-, Taucher- oder Surfergruppen, die zur gegenseitigen Fürsorge angehalten sind
  • Personen, die freiwillige Fürsorge für andere übernehmen: Lehrer, Babysitter, Rettungsschwimmer, Pflegepersonal in Krankenhäusern sowie in Alten- oder Pflegeheimen

Eine weitere Besonderheit der Garantenstellung: Neben der unterlassenen Hilfeleistung kommt für eine Person, die eine Garantenstellung innehat, auch die schwerwiegendere Straftat durch Unterlassen in Betracht (z.B. §§ 212,13 StGB oder §§ 229, 13 StGB).

Hier ergibt sich dann ein anderes Strafmaß als bei normalen Personen. Wenn ein Garant durch Unterlassen eine Tat begeht oder begünstigt, kann er dem Täter gleichgestellt und wegen desselben Vergehens strafrechtlich verfolgt werden. „Hier greift §13 StGB – Begehen durch Unterlassen. Die unterlassene Hilfeleistung nach §323c StGB ist durch die schwerwiegendere Straftat verdeckt, aber zugleich erfüllt. § 323 c StGB tritt im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter das unechte Unterlassungsdelikt zurück.”, erklärt Rechtsanwältin Baer.

Greift ein Lehrer beispielsweise nicht ein, wenn einer seiner Schüler geschlagen wird, kann er sich der Körperverletzung durch Unterlassen schuldig machen.

Unterlassene Hilfeleistung: Beispiele sind zahlreich

Mitten in der Innenstadt bricht ein Mann vor einem Geldautomaten zusammen. Zahlreiche Passanten beobachten den Notfall. Aber niemand hilft. Beispiele wie diese gehen regelmäßig durch die Medien. Die unterlassene Hilfeleistung ist eindeutig. Allerdings ist es nicht immer so klar. Denn einige Berufe laufen nicht nur Gefahr, sich der unterlassenen Hilfeleistung strafbar zu machen, sondern auch der schwerwiegenderen Unterlassungsstraftat (z.B. Totschlag durch Unterlassen). Diese Straftat kann sonst durch aktives Tun verwirklicht werden.

Folgend einige Beispiele:

Unterlassene Hilfeleistung in der Pflege

Was gilt als unterlassene Hilfeleistung in der Pflege? Die Fälle können sich auf typische Pflegehandlungen beziehen. Demnach ist es zum Beispiel u.a. unterlassene Hilfeleistung, wenn eine Krankenschwester einem Patienten, seine Medikamente nicht verabreicht.

Wichtig: Unterlassene Hilfeleistung setzt zumindest bedingten Vorsatz voraus. Außerdem hat die Krankenschwester eine Garantenstellung gegenüber dem Patienten inne, sodass die Konsequenzen eines bewussten Unterlassens in Garantenstellung deutlich über die einer unterlassene Hilfeleistung hinausgehen. „Hier wäre es eine Körperverletzung durch Unterlassen, wenn sie die Medikamente bewusst nicht verabreicht hat. Vorausgesetzt es kommt zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der unterbliebenen Medikation.“, erklärt Rechtsanwältin Baer.

Aber unterlassene Hilfeleistung bei Krankheit kann auch bedeuten, dass wichtige Hinweise nicht an Nachbehandler weitergegeben werden. Beispielsweise informiert der Notarzt bei Patientenübergabe, das Klinikpersonal über einen Sturz oder über die Anzeichen eines Schlaganfalls nicht vollständig.

Je nach Ausgang des Falles kommt auch eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung / fahrlässiger Tötung durch Unterlassen in Garantenstellung in Betracht. Sofern die Folgen der unterbliebenen Weitergabe von Informationen der Grund für den verschlechterten Gesundheitszustand sind.

Darüber hinaus kann unterlassene Hilfeleistung unter Umständen auch vorliegen, wenn ein Verdacht auf Gewalt in der Pflege nicht gemeldet wird.

In welchen Fällen begeht ein Arzt unterlassene Hilfeleistung?

Bei Notfällen herrscht in allen deutschen Arztpraxen Behandlungspflicht. „Ansonsten greift §323c StGB – unterlassene Hilfeleistung: Der Arzt macht sich mit der Verweigerung der Versorgung strafbar.“, weiß Rechtsanwältin Baer.

Dabei geht die Rechtsprechung von einem Notfall aus, wenn sich eine Erkrankung plötzlich und rasch verschlimmert. Demnach kann unterlassene Hilfeleistung auch einen Zahnarzt treffen, wenn er sich nicht um einen unangemeldeten akuten Schmerzpatienten kümmert.

“Um sich nicht strafbar zu machen, muss der Arzt alles unternehmen, was aus seiner persönlichen Sicht erforderlich ist, um den Notfall zu behandeln”, ergänzt die Juristin. Allerdings darf er dabei seine eigenen schutzwürdigen Interessen berücksichtigen. Beispielsweise kann von einem Hausarzt, dem per Telefon Herzinfarkt-Symptomen geschildert werden, nicht ein sofortiger Hausbesuch erwartet werden. Jedoch muss dieser sicherstellen, dass der Patient oder seine Angehörigen einen Notarzt rufen (BGH, Urteil vom 03.04.1985, 2 StR 63/85).

Folgend ein weiteres Beispiel für unterlassene Hilfeleistung eines Arztes:

Ein Patient hat schwere Symptome, die auf einen akuten Schlaganfall hinweisen. Dennoch unterlässt der behandelnde Arzt die sofortige Versorgung. Allerdings hätte er aufgrund seiner Fähigkeiten den Notfall erkennen müssen. Der Patient erleidet schwere bleibende Schäden, die bei sofortiger Hilfe hätten verhindert werden können. Dem Arzt kann eine Garantenstellung zugesprochen werden.

Damit macht er sich nicht nur der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Vielmehr kann der Behandlungsfehler sogar als Körperverletzung durch Unterlassen anerkannt werden. Allerdings bedarf es der eindeutigen Feststellung der Kausalität.

Welches Strafmaß gilt für unterlassene Hilfeleistung?

§323c StGB regelt für unterlassene Hilfeleistung das Strafmaß. “Wer in der Not nicht hilft, obwohl es ihm zumutbar ist, den erwartet eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr”, weist Rechtsanwältin Carla Baer hin. Ebenso droht wegen unterlassener Hilfeleistung eine Strafe, wenn jemand in Notfällen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leisten will.

Allerdings gilt für Garanten §13 StGB – Begehen durch Unterlassen. Dabei wirkt das Unterlassen besonders schwer. Rechtlich kommt es der Begehung der Tat gleich. Der Strafrahmen richtet sich dann nach dem jeweils zugrunde liegenden Tatbestand. Beispielsweise kann ein Garant bei einer Körperverletzung durch Unterlassen genauso streng bestraft werden wie der eigentliche Täter. Denn er hätte die gesundheitliche Schädigung des Opfers durch frühzeitiges Eingreifen verhindern müssen.

Was gilt bei unterlassener Hilfeleistung mit Todesfolge?

Rechtlich existiert der Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung mit Todesfolge nicht. “In Betracht kommen aber bei Bestehen einer Garantenpflicht die Straftatbestände der Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen gemäß §§ 227, 13 StGB und der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen nach §§ 222, 13 StGB”, erklärt die Juristin. „Handelt der Garant vorsätzlich, kommt gar die Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen in Betracht.“

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Dieser Artikel wurde ursprünglich am 21. Februar 2023 veröffentlicht (Haftungsausschluss).

Unsere Partneranwältin

Rechtsanwältin Carla Baer bearbeitet bei Momberger Rechtsanwälte Bußgeldsachen und strafrechtliche Anfragen. Sie verfügt über Erfahrung aus den Bereichen des Bußgeldrechts und des Strafrechts aus der Bearbeitung mehrerer Hundert Fälle. Ihre absolute Spezialisierung auf das Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Strafrecht setzt sie für Ihre Mandanten tagtäglich ein.

Rechtsanwältin Carla Baer

Carla Baer

Momberger Rechtsanwälte

Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Verkehrsrechtsschutz“